BKCY – das sind Ulrich Nachtigall und Linus Volkmann aus Köln. Einst hatten sie eine Skihütten-Indie-band, aber das Verstärkerschleppen und Gitarrespielen war einfach eine zu große Zumutung für die zwei sensiblen Blitzlichtluder mit den Kabelarmen und Streichholzbeinen. Es gibt daher elektronische Musik in dem Spannungsfeld zwischen Digitalism und Blümchen.
„Alarm! Hanns-Martin ist verschwunden.“ ist ihre erste Platte. In den elf Jahren Bandbestehens zuvor, erschienen bereits zwei 7“-Singles und die Mini-LP „Unendliche Freiheit“. Der große Radiohit aus den Neunzigern „Wann hast du eigentlich aufgehört, mich zu lieben, Schatz?“ findet sich dem aktuellen Album als Bonus im Original angehängt.
Noch mehr zu sagen? Ja, klar. Und das tut nun der Ex-Tennis-Profi Thomas Venker aus Stuttgart:
Lesen auch Sie, was ich gerade gelesen habe: Die Sätze, die die Band uns, den Hörern, im Booklet ihres Albums „Alarm, Hanns-Martin ist verschwunden“ mit auf den Weg geben. Und schon wissen Sie, warum ich mit dem folgenden das Info einleiten will – und nicht mit dem erwartbaren Punk-Indie-Bohemian-Lebensstilreport der beiden Kölner. Den kann man sich googeln, die Kontextualisierung des Leitmotivs RAF soll mein Job bei der Nummer sein. Ein angenehmer.
Denn all diese RAF-Bezüge, die wir auf „Alarm, Hanns-Martin ist verschwunden“ finden, sie sollen keineswegs schocken und rocken wie beispielsweise Baader-Meinhof-Rückgriffe in der Britischen Industrialszene Ende der 70er – wobei man dies jenen Bands gar nicht vorwerfen kann, zu gering war die zeitliche Distanz als dass sie die Abstraktion hätten leisten können. Aber heute, 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst, bedarf es mehr als des name droppings, man muss sich positionieren. Volkmann und Nachtigall tun das. Sie wollen nicht nur catchy Slogans über grellbunte Keyboardlines legen, sie treten gegen das Arschloch Meinungspluralismus an. Sie zeigen, dass die RAF nicht mit einer absoluten Position und eben solcher Sicherheit zu beurteilen ist, sondern ein vielschichtiges Phänomen deutscher Geschichte ist, an dem viel kritisiert werden kann und muss (gerade auch die antisemitistischen und sexistischen Tendenzen, die Künstler sprechen es im Booklet an), aber eben auch der ernst gemeinte Versuch unternommen werden sollte, sich die Ereignisse jener Tage bewusst zu machen, zu erinnern und aufzuarbeiten, die historischen Ereignisse und die Positionen der Protagonisten, ihre Visionen.
Schuld und Sühne also. Das Thema des Jahres 2007. Und so sehr man sich freut, dass die Medien abseits von Britney Spears menschlicher Tragödie und den letzten Zuckungen von fragwürdigen Starkonstruktionen wie Anna Nicole Smith endlich mal wieder einem richtigen Thema widmen, so sehr geht einem doch auf den Sack, was man da so lesen muss an arrogantem Duktus, gespeist mit der Gewinnerpose in der xten Generation. Die Diskussion über die „vorzeitige“ Haftentlassung, die Gnadengesuche von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, machte deutlich, warum es gut ist, dass es dieses Album gibt: Um daran zu erinnern, dass jede Geschichte mehrere Auslegungen hat, je nach Erzähler. Gefährliches Terrain, ich weiß. Denn wenn wir über beispielsweise – und da es in diesem Kontext so gut passt – über Hitlerdeutschland sprechen, dann komme mir keiner mit differenzierter Sicht der Dinge – denn so sehr die Rückkehr zum Neuen Deutschen Selbstbewusstsein, die dieser Tage around ist (sei es in Form von Fahnen bei der WM oder Geseiere aus einem weißen Vanity-Fair-HQ) so elend ist sie auch.
Die RAF ist trotz ihrer – in der Diskussion gern unterschlagenen – Gesellschaftsutopie, die an sozialistische Ideen andockte, ohne Hitlerdeutschland nicht denkbar gewesen. Sie ist in ihrem elementarsten Kern auch ein Dagegenhalten gegen das zurück zu alten Strukturen, das Weitermachenlassen der Schuldbeladenen. Insofern ist es grob fahrlässig, und auch nicht nachvollziehbar, wie jemand wie Jan Philipp Reemtsma die RAF als lokale Gruppenpose a la Dostojewskijs „Dämonen“ (jetzt neu „Böse Geister“) zeichnen kann (so geschehen in einem vor Selbstzufriedenheit nur so triefendem Beitrag in der Zeit vom 8. März dieses Jahres). So leicht kann man die Protagonisten jener Epoche, die bis heute, das zeigt ja die aktuelle Debatte, das Land aufwühlt, nicht abkanzeln, mal davon abgesehen, dass es auch politisch ein bedenklicher Akt ist. Außerdem stellt die RAF nicht nur ein singuläres deutsches Phänomen dar, sondern sah sich eingebettet in eine globale Bewegung, motiviert auch von den Tupamaros in Uruguay, Freiheitskämpfern in Mittel- und Südamerika. Hochgeputscht von dem (verrinnenden) Kairos der Studentenbewegung und den alles möglich erscheinenden Ereignissen jener Tage. Ihre Vision von Räterepublik, Internationalismus und Kommunismus sollte die von der Propaganda der Tat aktivierte Bevölkerung mit in die Verantwortung ziehen, mobilisieren für einen anderen, gerechteren Entwurf.
Aber kommen wir zurück zur Bum Kun Cha Youth. Man kann dieser bei oberflächlicher Rezeption des Werks unterstellen, dass sie schändlichen Populismus für Linksradikale betreibe, oder auch nur, dass sie eine Käsepizzavariante dessen zum reinen Spaßkick abliefere. Aber das wird ihnen genauso wenig gerecht wie Reetsmas Worte zutreffendes über die RAF sprechen. Nur woran liegt das? Die RAF legte den Finger in die größte Identitätswunde, die dieses Land besitzt: Die Nazivergangenheit und deren inkonsequente Aufarbeitung. Natürlich sagte ihr, wie jedem guten Linken, der Kapitalismus als Prinzip nicht zu, da er, selbst wenn er noch so viel hinausposaunte Soziale Marktwirtschaft zur Seite gestellt bekommt, letztlich doch immer weiter die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert – aber das war nicht ihr Hauptanliegen, auch wenn Christian Klar sich in seiner aktuellen Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz damit auseinandersetzt, nein, ihr Hauptanliegen war doch ganz klar die Kritik an den beibehaltenen Verhältnissen, dem Laissez Fair, mit dem aus Angst vor fehlendem Aufschwung und längerer Zeit der Buße und des Leids (und sie wäre verdient gewesen) einiges schneller vergessen wurde, als es Recht war, einige schneller – ja überhaupt – wieder eingegliedert wurden in das soziale Leben, die mit soviel Schuld beladen waren, dass sie statt nach Argentinien reisen zu dürfen, um erste neue Deals zustande zu bringen (mit Geldern, deren Herkunft keiner so genau wissen wollte) für immer in Demut Soziale Dienst hätten ableisten müssen oder noch besser im Knast Tellerwaschen. Wie zynisch mag dieses Deutsche Wirtschaftswunder für all jene gewirkt haben, die so unterDeutschland haben leiden müssen?
Ob aus all dem das Recht zu einem Kriegszustand ableitbar ist, die Argumentation auf der Otto Schily seine Verteidigung der angeklagten im Stammheimer Prozess aufbaute, sei vertagt, dafür ist das hier nicht der Rahmen. Nur dieses Gedankenexperiment sei an der Stelle zugelassen: Wer fühlt, dass noch immer die Protagonisten des Nationalsozialismus am Schaltpult sitzen, der wär ein schlechter Demokrat, wenn er nicht dagegen angehen würde – auch wenn „der gute Demokrat“ kein Maßstab gewesen ist, an dem die RAF etwas habe bemessen wollen. Damit sei weiterhin nicht gesagt, dass Gewalt der Weg ist. Keineswegs. Aber es ist gesagt, dass man all diese Gesichtspunkte nicht wegschieben sollte und kann.
Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Sie nicht all das sofort wiederfinden in der Musik der Bum Khun Cha Youth. Das hier ist Popmusik, ein Ort, der Gefahr läuft, dem System letztendlich zuzuarbeiten, da er Eskapismus fördert – das wissen wir nicht erst seit Adorno – aber eben auch subtile Kommunikationskanäle für mehr bietet. Also lauschen Sie gut.
Thomas Venker // Sommer 2007
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