Im nahezu unüberschaubaren Kosmos deutscher und deutschsprachiger Indiebands sitzen Sternbuschweg seit vielen Jahren am selben Platz: völlig wurzellos, wie die Robinson Crusoe-Typen aus Bildwitzen über Leute, die auf einer einsamen handtellergroßen Insel gestrandet sind. Daß sie sich nie einer wirklichen Szene anschlossen, obwohl sie bereits in den ersten Stunden der selbstausgerufenen ‚Berliner Schule‘ zugegen waren, aus der kurze Zeit später Bands wie 2Raumwohnung, Virginia Jetzt! oder Mia in den Mainstream vorstoßen konnten, hat vermutlich weniger mit ihrer Musik zu tun sondern damit, wie diese Band funktioniert, nicht funktioniert, sich weigert zu funktionieren und stattdessen funktioniert.
Kurz zurückgeblendet: 2002 wurde erst in Berlin und kurz darauf in ganz Deutschland in Radios, Fanzines, Klubs und Jugendzentren ehrfurchtsvoll der Name Sternbuschweg genannt: diese coole neue Band, die vermutlich ziemlich bald ziemlich bekannt sein würde. Es kam, wie man Jahre später rückblickend feststellen muß, anders. Sternbuschweg haben sich zwar nie wirklich ausgeklinkt (sie waren konstant auf Tour und veröffentlichten im Eigenvertrieb und bei Kleinstlabels drei EPs und eine Single), nahmen aber einfach nie am Wettbewerb teil. Vielleicht weniger als tatsächliche Weigerung sondern mehr, weil sie es wichtiger fanden, ihre Band kleinteilig, geduldig und voller Leidenschaft exakt so zu gestalten, wie es ihnen selber richtig schien; ohne darauf zu schielen, einen fetten Plattenvertrag an Land zu ziehen, ohne die Einflussnahme von A&R-Vögeln, Bookern und allen, die die Qualität von Musik in ihrer ‚Verwertbarkeit‘ bemessen; ohne sich dafür zu interessieren, was Presse, Radio und Internet an Schulterklopfen oder Ablehnung und Besserwisserei für diese kleine, mächtige Band bereithalten.
Diese fast schon autistische Art eine Band zu betreiben wäre alleine schon ein Grund, Sternbuschweg ins Herz zu schließen. Aber dann ist da zum Glück noch die Musik, diese eindruckvolle, erhabene Popmusik. Wäre das hier eine einzeilige Konzertankündigung in einem Monatsmagazin, würde Sternbuschweg vermutlich eingekocht werden auf die Pole, zwischen denen man sie irgendwie verorten kann: britischer Pop der Gattung Stones Roses, Charlatans oder Ride, etwas Northern Soul, etwas ‚Hamburger Schule‘ und ein Sänger, der so unschuldig und sehnsuchtsvoll singt, daß es schwerfällt, nicht an Morrissey zu denken. Aber es ist so viel mehr los in der Welt von Sternbuschweg, an der sie jahrelang gewoben haben. Die Gitarren verzahnen sich in einer Wall Of Sound, verlieren sich in Verzerrung und Hallräumen wie bei The Jesus & Mary Chain und My Bloody Valentine, bekommen elegant und unaufdringlich aber energisch Struktur von Baß und Schlagzeug und Klarheit von Wolfgang Müller-Molenars Stimme, die in ihrer gleichzeitigen Bescheidenheit und gespieltem Größenwahn so perfekt die großen Tugenden dieser Band und ihrem erstaunlichen Zusammenspiel ausmacht. Die Entscheidung, das Album komplett live einzuspielen ist mutig, aber folgerichtig.
Ob das lang erwartete, lang erarbeitete und lang ersehnte Debutalbum nach sechs Jahren Bandgeschichte die Stadt so in Brand setzen wird, wie es angemessen wäre? Vermutlich nicht. Zumindest nicht nach den Maßstäben und Marktgesetzen, mit denen diese Band nichts zu tun hat; denn ganz im Ernst: eine Band, die sich auch nur entfernt um Erfolg oder Anerkennung schert, lässt sich keine sechs Jahre Zeit für eine Platte. Eine Band, die sich ausschließlich und hundertprozentig um Musik schert, schon.
Und wenn die Band noch so überzeugt singt: „diese Welt ist nicht gemacht für uns“, möchte man ihnen laut entgegensingen „mag sein – na und“. Ein Hoch auf Benjamin, Dennis, Sebastian und Wolfgang, die vier Typen, die auf ihrer einsamen Insel ein paar der besten Lieder über Liebe, Selbstmitleid, Größenwahn, Irrsinn, Scheitern und, nunja, das Leben überhaupt geschrieben haben, die in den letzten Jahren geschrieben wurden. Eine Band wie ein Geschenk.
Björn Sonnenberg, Februar 2008